Vielleicht kennt ihr Das. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt und schnell hat man sich eingerichtet und das Vergangene hinter sich gelassen. Doch das gelang mir nicht so ganz, denn ein Projekt wurde nicht rechtzeitig beendet.

Für mich trifft das auf das Interregprojekt Bi-Bus zu. Im Mai 2020 erschien in „Buch und Bibliothek“ dazu ein Beitrag Es ist ein bibliothekarisches Herzensstück von mir. Damit die Kinder in den Schulen weiterhin mit Medien versorgt werden, benötigt es in Saarbrücken, mit nur einer Zentralbibliothek in der Innenstadt, dringend eines Bücherbusses. Doch Finanzen waren und sind im kleinsten Flächenbundesland immer knapp.

Aus der finanziellen Not wurde ein Stück deutsch-französischer Zusammenarbeit. Was noch fehlte war der neue Bus. Elektrisch fahren sollte er. Allein diese Entscheidung um die Antriebsart wurde immer wieder hoch diskutiert. Die erst Ausschreibung scheiterte an den hohen Hürden und dem vorhandenen Angebot. Noch im April 2021, da war ich schon in Lübeck, erreichte mich ein „Notruf“ des Dezernenten. Während in Luxemburg Schulbusse schon elektrisch unterwegs waren, sollte es uns im Saarland nicht gelingen?

Es gelang, doch das konnte ich nicht mehr begleiten. Bei meinem Abschied nach Lübeck wünschte ich mir lediglich einen Einladung, wenn der neue Bus auf dem Hof steht. Diesen Wunsch hat man mir erfüllt. Am 15.12.2022 und damit genau 2 Jahre nach meinem letzten Arbeitstag war Premiere in Saarbrücken. 14 Tage, bevor das Interregprojekt Bi-Bus abgeschlossen ist, rollte der neue Bus auf den Hof. Der alte Bus hatte nach über 34 Jahren Laufzeit zwei Wochen zuvor endgültig den Geist aufgegeben.

So entdeckte ich kurz Saarbrücken mit vielen Déjà vu noch einmal wieder. Wenn man dort die Nachrichten von Regionalzeitung und SR-Fernsehen folgt, kommt ein das eigene Bundesland stinklangweilig vor. Oder eben Norddeutsch beschaulich und zufrieden.

Doch nun zum Bus, der auch weiterhin auf deutscher und französischer Seite fahren wird. Ein Volvo aus Schweden, umgebaut von Volvo in Polen und eingerichtet in Finnland von Kiitokori – ein echtes Europafahrzeug.

Die technischen Daten:

Länge: 12 Meter / Breite: 2,55 Meter / Höhe: 3,3 Meter / Leergewicht: 12.260 kg / Zul. Gesamtgewicht: 19.000 kg / Antrieb: Elektro / Reichweite: ca. 250 km / Batteriepacks: 5 mit je 90 kWh pro Stück und somit Gesamtleistung von ca. 450 kWh / 200 kw (272 PS) / Höchstgeschwindigkeit: 80 km/h / Sitzplätze: 3 / Antriebsbatterie: 600 V und Fahrgestellbatterie 2x12V

Die Innendaten:

Platz für ca. 800 Medien / 2 Rollcontainer / Barrierefreiheit über Rampe / Toilette / ein Verbuchungstisch / Projektor und Leinwand zum Aufhängen / Multifunktionslicht und viel Platz zum Erzählen für die Kinder

Das Projekt Bi-Bus ist auch in seiner Aufgabe kein gewöhnlicher Bücherbus. Während viele Busse mit Medien vollgestopft sind, ist hier Platz für Menschen, die Deutsch und Französisch mitbekommen. Ausleihen dürfen in Frankreich nur die Lehrpersonen, in Deutschland weiterhin die Kinder. So sind die unterschiedlichen pädagogischen Ansätze auch Teil des Projektes. Die Distanzen sind ideal für Elektrisch und zudem hält der Bus meist nur vor Schulen. Wer will da noch Verbrenner? Für ein E-Kennzeichen hat es jedoch nicht gereicht.

Sehr gefreut habe ich mich, das eine Idee aus dem Kinderbücherbus von Espoo (FIN) übernommen wurde. Dort faszinierte mich die Innenraumbeleuchtungsmöglichkeit. So auch hier (Danke für das Bild an die dbv-Kommission Fahrbibliotheken: https://www.fahrbibliothek.de/)

Natürlich ließen sich auch die aktuellen Saarbrücker Zuständigen fotografieren. Die Saarbrücker Zeitung berichtete jedoch erst Tage später und der sonst sehr zuverlässige SR war abgelenkt von einer Pressekonferenz eines Filmfestivals. Zuvor wurde jedoch gut berichtet, wie man auf Bi-Bus.eu auch sehen kann. Natürlich gab es interne Statements und Social Media Aktivitäten:

https://www.saarbruecken.de/rathaus/presse_und_online/artikeldetail/article-639b446582987

Als das Projekt begann, gab es weder den aktuellen Bürgermeister (den überzeugte ich noch auf seinem alten Arbeitsplatz vom Projekt), noch die Dezernentin für Kultur und meinen Nachfolger naturgemäß auch nicht. Auf deutscher Seite gab es viele Wechsel. Einzige und sehr entscheidende Konstante war eine leitende Mitarbeiterin aus dem Büro für europäische Zusammenarbeit im Saarbrücker Rathaus. Als ursprünglich Hamburgerin gab es zum Präsentationstermin eine nordische Lakritzmischung nach Wunsch. Ohne uns zwei Nordlichter hätte das Saarland wohl keinen Bi-Bus!

Bevor nun die Galerie beginnt, möchte ich kurz vom Tag danach erzählen. Mit alten Kolleginnen konnte ich die zwei Tage viel reden und sehr lecker essen und es war ganz wunderbar. Doch nun ist das Unvollendete endlich vollendet. Das Projekt ist abgeschlossen. Der erste E-Bücherbus Deutschlands, bei Frankreich bin ich mir nicht absolut sicher, fährt mit einem europäischen Verständigungsgedanken und die Kinder in Saarbrücken können weiter in den Schulen Medien ausleihen. Das Projekt ist abgeschlossen und fährt nun in das echte Leben. Zutiefst glücklich kann ich nun ebenfalls abschließen und loslassen. Ein wunderbares Gefühl. Es war das erste Mal in meinem Berufsleben, das ich einen Arbeitgeber nach dem aktiven Dienst noch einmal besucht habe!

Tschüß und Au revoir Saarbrücken – bye bye Bi-Bus. Mir bleibt ein Kartonmodell als Erinnerung. Den Kolleginnen und dem Fahrer, die diesen Leuchtturm (muss ja was nordisches in den Text) täglich bespielen dürfen wünsche ich eine lange Zusammenarbeit mit ihrem Gefährt und immer eine Handbreit Luft unter den Bodenschwellen.

Die Kollegen aus Luxemburg waren schon sehr interessiert am Präsentationstag vor Ort. Vielleicht schafft es der Bi-Bus ja nach Cuxhaven zur nächsten #IFBK (https://www.fahrbibliothek.de/ifbk23/) – da wo andere Leuchttürme zu Hause sind.

P.S.: Aus Gründen des Datenschutzes sind keine Namen genannt.

Diese Geschichte hat meine Arbeit im 400. Jubiläumsjahr der Bibliothek der Hansestadt Lübeck begleitet. Dabei begann alles bereits einige Monate früher.

Frau W. stirbt. Doch so richtig bekommt das keiner mit. Beim Sterbedatum wird später ein möglicher Zeitraum von 3 Wochen angegeben. Frau W. stirbt auf ihrem Sofa vor einer aufgeschlagenen Fernsehzeitung. Dieses Stillleben bleibt für Wochen unverändert. Erst Gerüche brachten die Polizei auf die Spur ins Haus und dort finden sie die betagte Dame in ihrer kleinen 2,5 Zimmer Wohnung.

Das Gesundheitsamt stellt den Tod fest. Angehörige finden sich auf die Schnelle nicht und so veranlasst das Amt die anonyme Beerdigung samt Feuerbestattung. Es wird weder einen Grabstein geben, noch wird man später wissen, wo Frau W. ihre letzte Ruhe fand.

Einsamer kann man in Deutschland kaum sterben. Solche „Armenbegräbnisse“ finden tausendfach statt. Niemand trauert. Die Rechnung zahlt, erst einmal, das hiesige Gesundheitsamt.

Kein Angehöriger meldet sich und so beauftragt man einen amtlich bestellten Nachlassverwalter, der in der Wohnung nach Testament oder Hinweisen auf Verwandtschaft und materiellen Gütern suchen soll. Die Wohnung bietet den üblichen verlotterten Bestand einer alten Dame, die nur noch selten aus dem Haus geht. Vielleicht noch Besorgungen machen, weiter reicht der Kreis nicht mehr. Seit dem Einzug vor einigen Jahrzehnten hat sich nicht mehr viel verändert. Niemand würde hier große Reichtümer vermuten.

Der Nachlassverwalter ist ein gewissenhafter Mensch und findet einen kleines handgeschriebenes Papier mit nur wenigen Worten. Das Wort „Testament“ steht drüber: „Ich habe ein wenig Geld und die Wohnung ist bezahlt.“ Sie enterbt vorsichtshalber noch zwei längst nicht mehr lebende Verwandte und vermacht alles der Stadtbibliothek Lübeck.

Ein erster Anruf des Verwalters erreicht mich im Februar 2022. Ob ich eine Frau W. kennen würde. Das muss ich verneinen. Auch in der Bibliothekssoftware findet sich der Name nicht. Auf Nachfragen bei langgedienten Mitarbeiterbeitenden kommt nur Schulterzucken. Niemand kennt Frau W.

Laut Testament hat die Bibliothek geerbt. Wann er uns die Wohnungsschlüssel übergeben soll. Und eigentlich stinkt Geld ja nicht, doch die Bündel, die er in der Wohnung gefunden hat, die müffeln schon etwas. Mit meinem Einverständnis bringt er die Scheine mal zur Bank. Zusammen mit den Goldbarren.

Was!? Goldbarren?

So einfach kann eine kommunale Bibliothek jedoch nicht erben. Sie ist de facto eine juristisch nicht selbständige Einrichtung einer Kommune. In diesem Fall ein Bereich der Hansestadt Lübeck. Bereich 4.416 um ganz genau zu sein. Fachbereich Kultur. Und so langsam schwant der Bibliotheksleitung: „Das wird komplex.“

Das „wenige Geld“ entpuppt sich als wahre Untertreibung. Der Nachlassverwalter findet 15 Konten bei über 5 Banken und beginnt damit die Konten aufzulösen und auf ein Einziges zu übertragen. Bei der Räumung der Wohnung wird wiederum Bargeld gefunden und eingezahlt.

Frau W. ist schon seit gut einem Jahr anonym beerdigt und in der Stadtverwaltung beschäftigt das Erbe die Bereiche. Man lernt neue Leute kennen, mit denen man sonst nicht zu tun hat. Was macht eine juristisch unselbständige Einrichtung mit einer Wohnung? Videokonferenzen mit den Bereichen Recht, Liegenschaften, Kämmerei. Selbst der Datenschutz ist im Boot. Tote genießen keinen Datenschutz. Den Namen dürfte man also nennen. Wir entscheiden intern jedoch anders. Und noch immer löst der Nachlassverwalter Konten auf.

So tingelt der Bibliotheksdirektor qua Amtes zum Gericht. Selten wird der Personalausweis so oft kopiert, wie bei diesem Erbe. Was ist die Wohnung wert? Ein Gutachter wird bestellt. Eine Eigentumswohnung mit Erbpacht; sehr häufig in Lübeck. Und wer darf das Erbe annehmen? Der Bürgermeister?

In nichtöffentlichen Sitzungen werden die zuständigen Ausschüsse informiert, die Bürgerschaft ist das entscheidende Gremium und nimmt das Erbe für die Stadtbibliothek der Hansestadt Lübeck vor den Sommerferien an. Für diese Summe ist der Bürgermeister nicht mehr allein zuständig. Das wird der Direktor später auch dem Richter in einer kleinen kommunalen Lehrstunde erklären müssen, denn so ein Bibliotheksdirektor ist ja nun einmal juristisch nicht selbständig. Und der Richter will den Erbzweck erfüllt sehen.

Ende November, Frau W. ist schon seit 1,5 Jahren nicht mehr unter den Lebenden, kommt endlich der Erbschein vom Amtsgericht. Ein gewöhnliches Blatt DIN A4 Papier. Zwei Banken konnte der Nachlassverwalter noch nicht vom Geld trennen. Wieder wird der Personalausweis kopiert, das Testament, die Papiere des Amtsgerichts, und überhaupt. Da könnte ja jeder kommen und die Bank von fremden Geld trennen. Und so fühlt sich der Erbe von Amts wegen als Bittsteller bei den Banken und stellt sich brav in die Kundenschlangen, den ein Termin bekommt man bei zwei Banken nur als Kunde. Nicht als Erbe. Die Hauptbank erklärt die Leitung als „nicht geschäftswürdig, weil juristisch nicht selbständig“. Der Erbschein sagt etwas Anderes. Ein Fall für die Stadtkasse.

Die Wohnung ist verkauft, die Stadtkasse möchte noch in diesem Jahr verbuchen und die Gesamtsumme erscheint so langsam am Horizont.

Frau W. hat alles der Bibliothek vererbt, was Sie hatte – inklusive einem Bild, welches eine Mittelmeerküste zeigt. Schätzwert des Verwalters: 50€. Das Bild musste zwischenzeitlich ebenfalls in die Stadtkasse, weil dort das Vermögen für die Bibliothek verwaltet wird. Es ist das letzte physische Stück, was von Frau W. bleibt.

Der Rest ist nur das „wenige Geld“, ca. 420.000 €!

Zum 400. Geburtstag einer ehrwürdigen Einrichtung der Hansestadt ist das unfreiwillig das größte Geschenk an die Stadtbibliothek. Einen Verwendungszweck gibt es auch schon. RFID und Selbstverbuchung werden in den nächsten Jahren nun möglich.

Fröhliche Weihnachten!

(Tja, eine typische fiktionale Geschichte zum Jahresschluss mögen die Lesenden nun denken. Doch es ist alles wahr und so im Jahr 2022 geschehen.)

Die Zunft der Zimmerer ist noch heute bekannt dafür, das man auf die Walz geht. Also von Arbeit zu Arbeit. Drei Jahre und einen Tag. Unter den BibliotheksWesen gibt es diesen Brauch nicht. Vielleicht hat das bei mir deswegen etwas länger gedauert.

Gestartet in Reinbek (Schleswig-Holstein) und dann über Einbeck (Niedersachsen), Bottrop (NRW), Waldkraiburg (Bayern), Frechen (NRW), Salzgitter (Niedersachsen) nach Saarbrücken (Saarland).

Saarbrücken ist eine lebenswerte Stadt mitten in Europa. Beruflich zufrieden kann man es als Nordlicht hier gut aushalten. Das engagierte Personal der Stadtbibliothek kam aus allen Richtungen der Republik. Zwar steht in meinem Ausweise als Geburtsort „Bad-Godesberg jetzt Bonn“, doch bereits mit wenigen Wochen wurde ich nach Büchen ins Herzogtum Lauenburg exportiert. Meine gesellschaftliche Sozialisation erfolgte somit in Schleswig-Holstein. Schule und Ausbildung erfolgten quer durchs Land. Für das Studium ging man, wie so viele, nach Hamburg. Alles unterhalb der Elbe ist Süden! So bezeichne ich mich als „gelernter Schleswig-Holsteiner“.

Nun also das Saarland als letzte berufliche Station? Eigentlich schon, doch es gab insgeheim immer eine eheliche Vereinbarung. Wenn in der Heimat die passende Stelle wäre, dann…

Das wäre eine Entwarnung, denn Großstädte sind in Schleswig-Holstein rar. Es gibt genau eine Großstadt mehr als im Saarland. Doch dann passierte das, womit man nicht rechnet. Die Bibliothek der Hansestadt Lübeck suchte eine neue Leitung. Die direkte Großstadt meiner Heimat! Da, wo unsere Familien immer noch leben. Und das mitten in der Pandemie!

Jeder Besuch im Norden, egal woher wir gerade kamen, brachte das Gefühl, das viele Menschen unter „Heimat“ subsumieren. Heimat ist für die meisten der schönste Ort der Welt. Die Saarländer sind felsenfest überzeugt, das ihr Bundesland das schönste der Welt sei. Da muss ich mit meinem Lokalkolorit gegenhalten:

Schleswig-Holstein – Deutschlands schönstes Bundesland

Der Slogan „Land zwischen den Meeren“ wurde zwischenzeitlich umbenannt in „Der echte Norden“. Im Glücksatlas sind insbesondere die Holsteiner immer ganz weit oben dabei – Platz 1 mit Hamburg. Die Saarländer, die sich unverständlicherweise mit den Pfälzern den Raum teilen müssen sind nur auf dem vorletztem Platz. Da ist er wieder. Der Heimatfunke. Die Verbundenheit.

Mitten in der Pandemie haben meine Frau und ich also Job und Wohnung gewechselt. Das wäre einen eigenen Blogbeitrag wert. Vorstellungen hinter Plexiglas oder per Videoschalte. Wohnungssuche auf 750 km Entfernung. In leeren Zügen der Bahn quer durch die Republik. In Geisterhotels mit Bescheinigungen übernachten. Absage für Wohnungsbesichtigungen bekommen, weil man aus einem Hochrisikogebiet anreist. Ein Boot im Winter überführen und einen Liegeplatz finden. Die Familien sollte erst informiert werden, wenn alles unter Dach und Fach ist.

Kurz vor dem Umzug bei einem Spaziergang in Saarbrücken entdeckten ich in einem Stapel freigelassener Bücher vor einer Haustür in einer Bananenkiste mit der Aufschrift „Zu Verschenken“, einen der Regionalkrimis, der sich hier verirrt haben musste:

Lübeck Krimi in 1. Auflage von 2006

Spannender als Titel ist die persönliche Widmung, die nicht entfernt wurde. Hier wünscht ein Lübecker Arbeitsteam ihrem Kollegen alles Gute am neuen Arbeitsplatz in Saarbrücken. Meine Kolleg:innen haben mir zum Abschied unter anderem eine 1 Liter Maggiflasche geschenkt. Die höchste Auszeichnung der Integration, die man bekommen kann.

Die bisherigen Stationen reichen von der Kleinstadt mit starker Fachstelle bis hin zu Großstadt fast ohne Unterstützung. So denkt sich das BibliotheksWesen, da kann einen nur wenig überraschen. Doch dann überrascht einen die Heimat. Und so dreht sich der Blog um die Bibliothek der Hansestadt Lübeck, die häufig unter „Stadtbibliothek Lübeck“ firmiert, denn Lübeck stellt das Bibliothekswesen auf den Kopf.

Die Bibliothek der Hansestadt Lübeck ist:

Eine öffentliche Stadtbibliothek mit vier Stadtteilbibliotheken – die einzige Stadt des Bundeslandes Schleswig-Holstein, die nicht Mitglied der Büchereizentrale Schleswig-Holstein ist, jedoch der Onleihe zwischen den Meeren angehört. Eine Bibliothek, die im Bibliotheksverband in der Sektion 2 geführt wird; also bei den öffentlichen Bibliotheken von Städten mit einer Größe von 100.000 – 400.000 Einwohner.

Lichthof im Neubau im Sinne der Public Library von 1979

Eine wissenschaftliche Stadtbibliothek per Bibliotheksgesetz Schleswig-Holstein (§4 Abs.4). Der juristische Bestand hat das Niveau einer wissenschaftlichen Institutsbibliothek. Zudem geht der Bereich Medizin weit über das normale Angebot hinaus. Lübeck fehlt eine alteingesessene Universitätsbibliothek. Im Landesverband des Deutschen Bibliotheksverbandes vertrat man bis zuletzt die wissenschaftlichen Bibliotheken.

Willy-Pieth Lesesaal von 1926 – zwischenzeitlich restauriert – heute „Altbau“ genannt.

Eine historische Bibliothek – nur 10 Meter von meinem Büro entfernt ist der Mantelssaal. Digitalisierungsprojekte mit Inkunabeln und Handschriften gehören zur Aufgabe dieser Bibliothek. Es gibt sogar noch einen Katalog mit Preußischen Instruktionen-Aufstellung, der zum Auffinden manch selten gesuchten Stückes noch herangezogen wird.

Mantelssaal von 1879

Eine vergangene Staatsbibliothek – Lübeck war bis 1937 freie Reichsstadt und Hansestadt. Alle Publikationen wurden hier gesammelt. Bis heute hat die Bibliothek das gesetzliche Pflichtexemplarrecht für die Region.

Klimatisiertes Magazin mit Pflichtexemplaren vergangener Zeiten

Eine Magazinbibliothek – über 600.000 Bände befinden sich in einem zum Teil klimatisierten Magazin an der Trave. Die Bände sind erst im Frühjahr 2021 innerhalb der Stadt umgezogen. Der wohl größte Bibliotheksumzug Deutschlands 2021. Mit hanseatischer Zurückhaltung in drei Monaten durchgeführt.

Magazin in der Einsiedelstraße

Eine Musikbibliothek – mit jahrhundertealten Schätzen im Bereich der Noten, Erstauflagen und Sonderbeständen von Musikern, die in Lübeck wichtig waren.

Publikation von 1979 über die Bestände der Musikbibliothek

Eine Bibliothek, die im Jahre 2022 ihren 400. Geburtstag feiert. Auch, wenn in der Wikipedia man auf ein anderes Datum schließen könnte.

Und somit stellt die Bibliothek der Hansestadt Lübeck mit ihren fast 1 Mio. Medieneinheiten etwas dar, was in der Bibliothekslehre in Deutschland so eigentlich nicht mehr existieren dürfte – eine regionale Universalbibliothek. Darauf ein Stückchen Marzipan!

Hanseatisch zurückhaltend in der schmalen Hundegasse 5-17 in der UNESCO-Welterbe-Innenstadt fällt gar nicht auf, wie groß der Komplex ist. Da hilft ein Modell für die Übersicht.

Model der Bibliothek der Hansestadt Lübeck – Hundestraße 5 – 17
  1. der Neubau von 1979 teilweise hinter eine alten Fassade versteckt.
  2. im Haus Nr. 17 haben viele Beschäftigte ihr Büro. Das Gebäude ist aus dem 16 Jhr.
  3. der Bau von 1926 mit dem Willy-Pieth-Lesesaal und rechtswissenschaftlichen Bestand (Altbau)
  4. der Mantelssaal
  5. der Scharbausaal – ein ehemaliger Schlafsaal von Franziskanermönchen, der sich bis ins Katharineum (Kirche) durchzieht. Das Schmückstück des Hauses:
Scharbausaal (Gründungsraum 1616 – 1622 der Bibliothek, Bausubstanz etwa von 1354/1356)

Es gibt so viele unterschiedliche Räume, Gänge und Treppenhäuser, das Walter Moers seine „Stadt der träumenden Bücher“ hier fast verfilmen könnte. Das alte Magazin z.B. ist heute normal zugänglicher Teil der öffentlichen Bibliothek. Die Regale sind gleichzeitig die tragenden Teile dieses Gebäudeteils.

offenes Magazin am Neubau in der Hundestraße

Geheime Übergänge, blinde Türen, verwunschene Gärten, verborgene Schätze – nach mehreren Monaten schaffe ich es, Fremde so durchs Haus zu führen, das diese am Ende nicht mehr wissen wo Sie sind…

Tür mit Aufschrift „Handschriften und Frühdrucke“ im Scharbausaal

Übrigens, auch die Bezeichnung der Leitung ist nicht einheitlich:

  • wissenschaftlicher Mitarbeiter laut Arbeitsvertrag
  • Bereichsleitung Bibliothek in der Verwaltungsgliederung
  • Bibliotheksdirektor in der Außendarstellung
Könnte wieder ein kleiner Bibliotheksgarten werden, aber eine fremde Mauer ist einsturzgefährdet – so bleibt der Dornröschenschlaf

Die Vorgänger:innen haben unterschiedlich große Fußstapfen hinterlassen. Es ist mir eine Ehre diese Einrichtung in meiner Heimat die nächsten Jahre leiten zu dürfen. In letzter Zeit wurde stark unter dem Begriff „Stadtbibliothek Lübeck“ firmiert. Das ist definitiv zu Kurz gegriffen. Der offizielle Name „Bibliothek der Hansestadt Lübeck“ wird nun wieder häufiger zu lesen sein. Das zeigt mehr den Charakter dieser historisch-modernen ÖB/WB Institution mit Magazinarchiv…

Die Wanderjahre sind vorbei. Wir sind wieder im Heimathafen.

„Sisu“ im Passathafen Lübeck-Travemünde

Wieder einmal ist es nicht gelungen einen Urlaub ohne Bibliotheksbesuch zu machen. Der Roadtrip begann in Finnlands Süden und ging über Lappland (Finnland, Norwegen, Schweden).

Die Schärenringstraße vor Turku bzw. Åbo war bereits zu Beginn ein ungeplantes Highlight. 200 km lang und mit 10 Fährverbindungen verspricht Inselhopping. Auf der Hinfahrt merkten wir, das die Sprachen von Finnisch/Schwedisch auf Schwedisch/Finnisch wechselten. Die Busse fuhren nicht mehr nach Turku, sondern nach Åbo, dem schwedischen Namen von Turku. Und im Supermarkt auf der Insel Korpo wurde nur noch Schwedisch gesprochen.

Kurz unterhalb von Jokkmokk waren unsere Reiseziele abgearbeitet und wir hatten noch Zeit.

Also noch mal die finnischen Schären? Die Lösung brachte die Fähre von Eckerölinjen von Grisslehamn – nach Eckerö auf Åland. Das die Hinfahrt drei Stunden dauert, die Rückfahrt jedoch nur eine Stunde ist der WEZ/OEZ-Grenze zu verdanken. Hier kann man zollfrei Einkaufen, was die Nordländer ausgiebig für den Nachschub von Hochprozentigem nutzen. Was den Deutschen der Fuselfelsen, ist den Nordländern das Fuselschiff.

Åland ist eine weitgehend autonome Region Finnlands. Auf den 6.500 Inseln, wovon nur die wenigsten bewohnt sind, leben knapp 30.000 Menschen. Die „Hauptstadt“ Mariehamn hat ca. 11.000 Einwohner. Man repräsentiert eindeutig die schwedisch-sprechende Minderheit von Finnland. Man genießt Wehrpflichtbefreiung und Zollfreiheit, was viele Schiffe einen Stop in Marienhamn einbringt. Man leistet sich eigene Briefmarken, eigene KFZ-Schilder, eine eigene Internetendung (.ax) und eine eigene Flagge.

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Mehr Autonomität ist kaum möglich.

Es gibt auch Bibliotheken. Eigentlich ein ganzes Bibliothekssystem. Mit eigener Internetendung: Bibliotek.ax

Überall auf der Insel sieht man kleine Schilder zu einer Bibliothek. Auf der Internetseite werden 15 Kommunalbibliotheken, 7 Schulbibliotheken und noch weitere Spezialbibliotheken aufgelistet. Darüber schwebt die Stadsbibliotek Mariehamn als Zentralbibliothek.

Wer bisher nur Schilder mit Elchen und Rentieren mit Skandinavien verbindet, bekommt nun ein neues Schild direkt vor der Bibliothek präsentiert: den Marienhamns-Gumsen

Die Bibliothek von Aussen ist eher unscheinbar, bzw. würde man einen solch grossen Bau nicht mit einer Bibliothek in einer „Stadt“ dieser Grösse in Verbindung bringen:

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Nein, das ist kein Neubau – kein Dokk1, kein Oodi oder Birmingham Library. Die Bibliothek wurde bereits 1990 erbaut. Für 110.000 Medien geplant, 10,5 Bibliothekarstellen und 7,5 Assisstentenstellen eingerichtet, also 18 Personalstellen. Die Gesamtfläche beträgt 14.800 m3, die große Halle allein 3.405 m². Das neue Kap1 in Düsseldorf soll 12.500 m² Fläche bekommen, wenn ich mich nicht irre.

Man ist gleichzeitig Hochschulbibliothek für die HÅ – die Högskolan på Åland, an der man u.a. Maschinenbau, Elektrotechnik oder Gesundheitsmanagement studieren kann. 455 Studenten zählt man aktuell. Klingt nach guten Studienbedingungen.

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Doch nun ein Blick ins Innere!

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Die Finnische Sachlichkeit und das schwedische Design ist spürbar.

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Ich habe persönlich die finnisch-schwedische Symbiose dieses Gebäudes gespürt.

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Und nach 30 Jahren wirkt es fast zeitlos.

In einem Flyer von 2009, den man dort mitnehmen konnte sprach man bereits von 122.715 Büchern, 7.502 Musik-CD, 1.454 DVD und gut 2.700 weiteren Medien, also fast 135.000 Medien. Man öffnet in 2008 gut 60 Stunden die Woche und hat pro Leser 25,2 Ausleihen bei insgesamt 277.361 Ausleihen und 244.494 Besuchen.

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Es war nicht viel los am Samstagnachmittag in den Ferien. Die aktuellen Öffnungszeiten waren Montag – Donnerstag 10 – 20 Uhr, Freitag 10 – 18 Uhr, Samstag 10 – 16 Uhr und Sonntag 12 – 16 Uhr. Also 58 Öffnungsstunden in der Woche. An Personal waren nur 2 Personen zugegen, kein Problem bei Selbstverbuchung.

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Es bleibt hier trotz der Architektur viel Platz für Neuerungen und Änderungen. So ganz nebenbei ist man als „Grüne Bibliothek“ frisch ausgezeichnet.

Ob in deutschen Bibliotheken auch so viel Mülltrennung betrieben wird?

Was bietet man seinen 11.000 Einwohnern noch?

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Tabletausleihe und natürlich WLan

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Neue Sitzmöglichkeiten, die sich in die Architektur sehr gut eingliedern. Von diesen Sesseln habe ich 4 Stück gesehen – aus einem wollte meine Frau gar nicht wieder raus.

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Als Zentralbibliothek für das autonome Åland hat man die Aufgabe der landeskundlichen Abteilung. Anschluss an die Filmdatenbank Cineasterna.se, Sprachcafé, Schöne Literatur in großer Auswahl in vielen Sprachen (Multilingual Library), Novellencafé, Buchzirkel, Literaturtage, etc.

Interessant ist auch der kostenfreie Lieferdienst für alle Medien, wenn man nicht mehr außer Haus kommt. Daisybücher sind ebenfalls vorhanden. Spannend, bei 60 bewohnten Inseln.

Das Büchlein „Åland in Zahlen 2019“ notiert auf Seite 30:

Jahr 2000 / 332.564 Bände und 486.139 Ausleihen (18,9 Leihen pro Einwohner)

Jahr 2010 / 326.230 Bände und 476.376 Ausleihen (17 Leihen pro Einwohner)

Jahr 2018 / 288.943 Bände und 355.880 Ausleihen (12,7 Leihen pro Einwohner)

Fazit:

Åland ist eine Reise wert. Die Natur, die Inseln, der Kuchen

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Insbesondere der Kuchen!

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Ihr dürft aber gerne auch den Bibliotheken einen Besuch abstatten. Der Eintrag in diesem Blog erhebt nicht den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Falls also jemand mal einen Bericht über das Bibliothekswesen auf Deutsch verfasst hat würde ich gerne dorthin verlinken.

30.000 Einwohner zwischen Schweden und Finnland haben sich eine ganz passables Bibliothekslandschaft gebaut. Auf jeden Hauptstadtbewohner kommen über 11 Medien. Eine schöne Zahl zum Abschluß, wenn mal wieder die deutsche 2 Medien/Einwohner Marke aus der Ecke gekramt wird.

 

Auf dem Weg nach Norden bin ich schon mehrfach durch Umeå gekommen. Für die meisten wäre das ja schon Norden genug – immerhin kommt in Schweden nördlicher nur noch die Provinz „Norrbottens län“. Umeå ist die Residenzstadt von „Västerbottens lan“ und die Stadt hat ca. 85.000 Einwohner mit starkem Wachstum.

Ich kenne Umeå nur durch zwei Besuche im Winter. Die Stadt der Birken und die Stadt der Radfahrer, auch bei minus 15 Grad. Und Kulturhauptstadt Europas war sie 2014. Das merkt man nicht nur an der Stadtbibliothek. Doch auch sonst gibt es architektonische Highlights – das beginnt bei der Stadtmöblierung.

Nachts ist diese „Engelsbank“ gegenüber der Norrlandsopera beleuchtet. Wer dort sitzt hat also einen Heiligenschein. Die Stadt der Birken hat sich zudem einen neuen Busbahnhof aus Holz geleistet (nein, das ist kein Rohbau):

Selbst wer nur im Einkaufszentrum „Utopia“ kurz aufwärmen will, trifft auf Kunst. In diesem Fall auf ein zusammengekugelten Käfer von Ichwan Noor: https://www.artsy.net/artist/ichwan-noor :

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In dieser Stadt mit vielen Studenten ist die Stadsbibliotek natürlich wichtig und wurde 2014 neu errichtet: https://sv.wikipedia.org/wiki/Ume%C3%A5_stadsbibliotek – der direkte Link zur Homepage findet sich hier.

Während ich 2017 nur davor stand habe ich mir im März 2019 etwas Zeit genommen um hinein zu gehen. Erst das Oodi in Helsinki, dann der Bücherbus in Kilpisjärvi und nun also die Stadtbibliothek in Umeå. Die Bibliothek ist wiederum ein Kulturhaus (Kulturhuset) mit integrierten Cafés und einem Hotelkomplex über der Bibliothek.

Die Bibliothek liegt eigentlich nicht zu verfehlen in der Innenstadt direkt am Ume Älv, der zu dieser Jahreszeit komplett zugefroren ist.

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Wer mit Spikes durch die vereisten Strassen läuft sollte wegen des Holzbodens bitte Gummischlappen drüberziehen.

Das man die Orierntierung nicht verliert und zufällig im Hotel landet, dafür sorgen sehr große Orientierungskarten. Ob die barrierearm sind, weiß ich nicht – der Trend zurück zu einfachen Wegweisern zeigt der Besuch im Oodi in Helsinki. Wer erschöpft ist findet ausreichend Sitzgelegenheiten. Auf der Seite der Bibliothek sind alle Räumlichkeiten klar nach Etagen aufgegliedert: https://www.minabibliotek.se/teman-och-rum?culture=sv und es gibt ein pdf: https://cdn1.minabibliotek.se/files/584a8749f09f4b19bc03c660/Ume%C3%A5%20stadsbibliotek%20informationsbroschyr.pdf zum Mitnehmen.

Die Größe der Bibliothek ist, wie immer, nicht mit deutschen Maßstäben vergleichbar. 5000 qm lassen entsprechend Möglichkeiten zu für die diversen Räumlichkeiten, die heute auch in deutschen Bibliotheken immer mehr erwartet werden. Übrigens, es gibt mit Bücherbus insgesamt ein Dutzend Zweigstellen in dieser Stadt.

Also alles vorhanden: Digitalwerkstatt, Gruppenräume, kleine Bühne, Kulturrezeption, etc. Die entsprechenden Betreuungsangebote reichen von der Digitalhilfe über die Ahnenforschung bis hin zum IT-Sprachcafé. Und die ganzen Kinderangebote sind da noch gar nicht genannt. Das Bibliothekswesen hat also einiges zu tun

Es gibt auch Platz für Medien und ausreichend Fläche zum „Sofortkonsum“:

Doch in Umeå bin ich auf eine Besonderheit gestoßen, die mir bisher noch nie begegnet ist. Während man immer wieder liest, das sich Bibliotheken von Medien trennen um Platz zu schaffen, magaziniert man in der Stadsbibliotek Umeå Titel, die man haben muß jedoch nicht immer im Raum präsentieren muss. Gut, Magazine kennen auch deutsche Kommunalbibliotheken – aber dieses Magazin ist offen für jeden zugänglich und nutzbar:

Ob Kinderbuch oder Schöne Literatur, das „Öppet magasin“ kann jeder bedienen. Einfach auf die Knöpfe drücken und elektrisch werden die Reihen geöffnet und geschlossen. Viele Medien auf engem Raum – jedoch nicht entsorgt und weggeworfen weil kein Platz da ist. Vielleicht wäre diese Idee eine häufig einsetzbare Lösung in Deutschland. Oh, „meine“ Stadtbibliothek hat sogar ein Magazin…

Dann ist sogar Platz für Kunst. Ein Künstler malte gerade einen Volvo Kombi – jedoch in einer ganz eigenen Art:

Als Bahnfahrer mit dem „Nattåg“ gen Norden verschläft man diese Stadt in der Regel. Wer jedoch mit dem Auto oder dem Camper durch Skandinavien tourt, der kann in Umeå einen Stopp einlegen. Die E4 verläuft direkt daran vorbei.

Mensch, ich habe ja einen Blog! Erst neulich sprach mich eine Kollegin an, das Sie bei einer thematischen Recherche auf einen alten Blogbeitrag von mir gestossen ist.

Die Reaktivierung des Blog erfolgt mit einer Reise. Während die Kulturstiftung des Bundes aktuell mit ihrem Programm hochdrei politische und bibliothekarische Personen im Rahmen eines „Tandems“ nach Dänemark und in die Niederlande in schöne, tolle und möglichst neue Bibliotheken verbringt, reist das hier bloggende BibliotheksWesen schon seit Jahren durch die Länder und besucht immer wieder Bibliotheken.

Der Winterurlaub wurde genutzt um einen Abstecher ins Oodi zu machen. Das Oodi ist die neue Bibliothek an zentraler Stelle in Helsinki. Ein Geschenk des finnischen Staates zum 100. Geburtstag an seine Bürger und damit an sich selbst.

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Wer mehr über das Oodi wissen will kann gerne den BuB Bericht von Beate Detlefs lesen. Einige Blicke gleichen sich, doch da Reisen bildet, möchte ich eigene Eindrücke hinzufügen. Natürlich kann man von den riesigen Dimensionen auch in Deutschland träumen, doch mir geht es beim Besuch um realistische Umsetzungsmöglichkeiten. Auch das reiche Düsseldorf fällt mit seiner neuen Zentralbibliothek „Kap 1“ mit 12.600 qm klein aus für nordische Verhältnisse. Ja gut, das Oodi hat nur 10.000 qm – aber ist auch nur eine von 37 Filialen in Helsinki und die Zentralbibliothek ist die Pasila-Bibliothek.

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2017 konnte ich nur eine Baustelle besichtigen. Für das Oodi wurde die Library 10 geschlossen, die ich noch besucht hatte. Auf einer Fortbildung im Institut für Menschenrechte in Berlin im letzten Jahr erwähnte die Dozentin Eeva Rantamo bereits die Barrierefreiheit der neuen Bibliothek von Helsinki. Eine solche Fortbildung wird am 11. April noch einmal von der ekz GmbH in Reutlingen angeboten und ich kann das jedem empfehlen, der sich mit Bibliotheksbau und für Barrierefreiheit interessiert.

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So fällt zum Beispiel auf, das man im Oodi kaum noch Orientierungsdisplays erblickt. Dafür erblickt nüchtern, sachlich und für alle nutzbar eine klassische Orientierungstafel wieder das Licht der Bibliothekswelt. Die gesamte Bibliothek ist dreisprachig und zudem mit vielen Piktogrammen ausgeschildert. Während Finnisch und Schwedisch für Finnland selbstverständlich ist, findet sich hier auch alles in Englisch.

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Und spätestens hier wird mir klar, das auch die Stadtbibliothek Saarbrücken, recht einfach dreisprachig werden kann – Deutsch/Französisch/Englisch wäre eine logische Folgerung.

Ganz ehrlich, diese Massnahme kann recht kostengünstig in deutschen Bibliotheken umgesetzt werden. Ob die schicken Displays, die in deutschen Neubauten immer häufiger auftauchen noch inklusiv sind und nicht nur sehr teuer, vermag ich nicht zu sagen.

Bei Behinderung denkt Deutschland schnell an Rollstuhlfahrer und Blinde. In den nordischen Staaten beginnt die Barrierefreiheit schon beim Kinderwagen.

Kinderwagenabstellplätze sind dort so selbstverständlich, das man sie in kleinsten Bibliotheken findet. Und hier sei es verraten, diese Idee ist auch bei uns schon angekommen und das Gebäudemanagement hat sie in einer Planung berücksichtigt. Auch diese Sache kostet oft nicht viel – bringt jedoch positives Feedback.

Der Verbuchungsplatz für die Kindermedien ist hier noch mal im Vergleich zu sehen. Man beachte die Höhe des Verbuchungsplatzes.

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Unvorstellbar in Deutschland ist auch dieses auf den ersten Blick unscheinbare Bild:

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Direkt neben der Kinderecke gibt es diesen kleinen Gang mit zwei Toiletten für Schwerbehinderte, entsprechendem Bodenleitsystem, einem Wickelraum und einer (!) Toilette für alle nichtbehinderten Menschen. Während man in Deutschland nicht nur im Karneval unsinnige Toilettenfragen stellt, würden sich die Finnen darüber nur wundern. Nicht aus dem Oodi, sondern aus dem finnischen Kaufhaus „Stockmann“ in Helsinki stammt dieses Bild.

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Doch zurück in den neuen heiligen Gral des Bibliothekswesens.

Nur im dritten Stock befinden sich Medien. Im zweiten Stock, der mir übrigens sehr dunkel und wenig von aussen beleuchtet vorkam, gibt es diverse Gruppenräume in allen Größen, Sitzecken, Nähmaschinen, MakerSpaces und den Folierstisch, wenn man mal selber etwas seine eigenen Werke folieren möchte. Letzteres werden wir regelmäßig zum Schulanfang gefragt.

Die Kinderecke ist sensationell und die Kleinen ziehen auch ohne Beschilderung ihre Schuhe aus. Die Gamer haben genauso ihren eigenen Raum, wie die Küchengruppe. Während in Deutschland Bibliothek und VHS meist getrennte Wege gehen, ist das im Norden historisch bekanntermassen anders verlaufen.

Die nordisch klare Sachlichkeit muss man mögen. Es ist versucht worden an Alles und Alle zu denken. Das Wohnzimmer der Stadt ist im Oodi Wirklichkeit – ausser, das die Getränke zu Hause wohl günstiger wären (Preise in Euro im Februar 2019).

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So geht das BibliothekWesen mit zwei Fragen aus dem Haus:

  1. Was ist davon umsetzbar, ohne deutsche kommunale Etats komplett zu sprengen? Antworten finden sich bereits im Text.
  2. Wenn das die Bibliothek der Gegenwart ist, welche Ausbildung brauchen wir da eigentlich in deutschen Bibliotheken?

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Die letzte Frage ist beinah eine Frage der Einstellung. „Die Bibliothek ist für die Menschen da“ wir ja nun sehr häufig zitiert. Aber was für Menschen müssen denn da arbeiten, die für Menschen in der Bibliothek da sind?

Vielleicht findet sich die Antwort auf dem letzten Bild:

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BibliotheksWesen in Bibliotheken müssen Menschen sein, die an die Bibliothek für alle Menschen denken und nicht nur in Zielgruppen und (Ausleih)statistiken. In Deutschland bedeutet das einen Wertewandel, dessen Prozess für mich noch am Anfang steht. Für das Seminar „Inklusion und Barrierefreiheit in Bibliotheken“ bei der ekz am 11. April gibt es noch Restplätze. Bevor wir nach Norden pilgern, können wir uns vorab informieren wie das noch mal ging, mit der „Bibliothek für Alle“. (ScG)

Was bleibt von einem bibliothekarischem Studium übrig, wenn:

  1. sich der Sprachraum fundamental ändert
  2. sich die erlernte Schrift sich verabschiedet
  3. und der Kulturraum ein völlig anderer ist?

Oder anders gefragt. Was müsste ich neu erlernen, um in einer Bibliothek in China oder Syrien zu arbeiten?

Fazit: Da bleibt nicht mehr viel übrig.

Die „Flüchtlingswelle“ ist Vergangenheit. Für die Medien ist das Thema scheinbar erst einmal durch. Meist beschäftigt man sich mit extremistischen Ausreißern oder publikumswirksamen Abschiebungen in mehr oder weniger sichere Drittstaaten. Doch die meisten der Flüchtlinge sind weiterhin da. Es beginnt eine sehr kleinteilige und zumeist wenig publikumsvermarkbare Zeit der Integration. Hier ist eine Geschichte davon.

Die Stadt Salzgitter hat im Jahr 2017 nicht nur über 2.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen, es sind noch weitere 2.000 freiwillig hierhergezogen. Insgesamt sind von den 106.000 Einwohnern knapp 4.000 aus Syrien. Wer sich die aktuelle Situation anschaut weiß, die Wenigsten werden wieder in ihre Heimat zurück (können).

Anfang 2016 erreichte mich die Anfrage, ob wir bereit wären eine Praktikantin aufzunehmen. Sie spräche schon recht gut Deutsch und ist seit 2 Jahren in Salzgitter. Ach so, und sie ist Bibliothekarin!

Natürlich war ein Praktikum möglich. Und dann war Sie da. Am 18.Februar 2016 stellte sich die neue Praktikantin im Blog der Stadtbibliothek Salzgitter vor:

Während des Praktikums kamen wir öfter ins Gespräch. Sie zeigte mir ihre Studienbescheinigung der Universität Damaskus.  Das Thema Flüchtlinge war ein Schwerpunkt auf dem Leipziger Bibliothekskongress. Also habe ich Frau Alshouhan eingeladen mitzukommen; Tagesticket besorgt, Bahnfahrkarte besorgt – und nun eintauchen in den Trubel. Übrigens, auch wenn das mich eigentlich wenig berührt, Sie war die einzige Teilnehmerin mit Kopftuch. In dem von mir geleitete Vortragsreihe „Willkommenskultur – Grundlagen“ sprachen alle über Flüchtlinge. Ich brachte Eine mit. 🙂

Sie übersetzte in ihrem Praktikum den Flyer „In einfacher Sprache“ ins Arabische und fand sofort die Schreibfehler beim Niedersächsischen Willkommenspaket der Büchereizentrale. Die Stadt Salzgitter hat einen hohen Migrationsanteil – das findet sich teilweise auch im Team der Stadtbibliothek wieder. Doch mit türkischen oder gar arabischen Wurzeln haben wir Niemanden. Eigentlich bräuchten wir eine Frau Alshouhan. Doch ohne deutsche Papiere ist eine berufliche Integration kaum möglich. Und im Stellenplan gab es keine Möglichkeiten.

Anfang 2017 ermöglichte eine Elternzeit eine Ausschreibung für eine Stelle als FaMi. Befristet für zwei Jahre.

Zwischenzeitlich ist auch das Studium von Frau Alshouhan in Deutschland von der Kultusministerkonferenz (Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen) anerkannt, mit dem Rang eines Bachelor Studiums. Der Studiengang heißt in lateinischer Schrift übrigens „Maktabat wa maalumat“ und der Abschluß „Al-idjaza fi-l-adab“. Eine Bewerbung wäre also möglich. Also bewarb Sie sich auf die Stelle, obwohl diese nicht dem Profil entsprach. Sie wurde zum Bewerbergespräch eingeladen. Und vorab – ich habe an den Gesprächen nicht teilgenommen und ich habe die Entscheidungen nicht getroffen. Es kamen andere Bewerber zum Zug. Doch die bevorzugten Bewerber sagten kurzfristig wieder ab. Und nun?

Die ehemalige Praktikantin passte, wie gesagt, nicht ins Profil, stand jedoch noch auf der Bewerberliste. „Wie integriert man eine syrische Bibliothekarin ins deutsche Bibliothekswesen?“

Diese Frage galt zu klären. Sie benötigt Fortbildung! Möglichst schnell, möglichst umfassend. Die ganze Theorie muß erneuert werden. Am besten Extern. Ich habe mich einen halben Tag durch die Republik telefoniert bis das Passende gefunden war. Das Regierungspräsidium in Gießen hat in Hessen einen Vorbereitungslehrgang für die externe Abschlussprüfung für angehende FaMis im Programm. Vier mal eine Woche in Frankfurt. Eine Prüfung braucht nicht abgelegt zu werden, da der Bachelor Abschluß bereits anerkannt ist. Die hiesige Arbeitsagentur arbeitet eng mit der Stadt zusammen – auch in diesem Fall. Seit dem 1. Juni gehört zum Team der Stadtbibliothek Salzgitter nun eine Bibliothekarin aus Syrien. Solche Flyer sind kein Problem mehr:

 

Die erste Woche ist des Crash-Kurses ist nun vorbei und ich habe die positive Rückmeldung bekommen, das dies genau das ist, was Sie benötigt.

Rückblickend ist zum Wunsch der Bibliotheksleitung sehr viel Glück, wenn nicht gar Zufall, und dann ein klarer Wille der Weg zur Integration gewesen. Die Stadtbibliothek wird eine Win Win Situation erleben, da bin ich fest von überzeugt.

Übrigens, Frau Alshouhan ist nicht die einzige geflüchtete Bibliothekarin aus Syrien in Deutschland. In Bremen und Essen könnte sich diese Geschichte noch einmal wiederholen. Vielleicht! Mit etwas Glück, Zufall und vor allem Wille!

Von 4.000 syrischen Flüchtlingen in Salzgitter ist dies nur die eine Geschichte, wie schwer es sein kann in einem fremden Land mit anderen Kultur Fuß zu fassen mit seiner Ausbildung. Es ist unser/mein Beitrag für gelebte Integration.

Im letzten Monat des Jahres 2016 ist in der Bibliothek die Ausstellung „Oh, eine Dummel“:

http://www.dummel-ausstellung.de/

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Meine Gedanken dazu habe ich in die Eröffnungsrede gepackt:

Diese Ausstellung hat nun schon einige Orte besucht. In einer Bibliothek war sie jedoch noch nicht. Als ich von der Möglichkeit diese Ausstellung zu ordern gehört habe, wollte ich diese unbedingt auch in der Stadtbibliothek Salzgitter. Dafür gab es drei gute Gründe, die sich alle unter dem Begriff Satire und Bibliothek zusammenfassen lassen.

  1. Im letzten Jahr fand in der Herzog August Bibliothek ein Arbeitskreis zum Thema Volksbibliothekare und Nationalsozialismus statt. Am letzten Tag der Vorträge war klar erkennbar, dass alle untersuchten Bibliotheken und die leitenden Bibliothekare teilweise im vorauseilendem Gehorsam Bestände makulierten, also löschten. Einige waren stramme Nationalsoziallisten, andere wiederum wurden „zwangsrekrutiert“. Was allen Personen jedoch am Ende gemein war, das sie am Ende des Dritten Reiches alle in ihrem Beruf weitermachen konnten. Hochoffiziell rein gewaschen von den Allierten. In Deutschland hat der Bibliotheksverband Jahrzehnte gebraucht um einen Ethikcode zu verabschieden. Und eine Frage treibt uns bis heute um: Was darf in den Bestand? Hitlers „Mein Kampf“ steht als kommentierte Ausgabe auch hier in der Bibliothek. Die Innung war, nach erlöschen des Urheberschutzes, sich schnell darüber klar und einig, dass eine kommentierte Ausgabe zur Aufklärung beitragen kann. Doch der Extremismus kommt nicht nur von Rechts. Ein Beispiel: Ein wunderbar aufgemachtes Buch wurde uns im Bereich Biologie geschenkt. Erst bei der Recherche im Impressum findet sich die kreationistische Abstammung. Auch sehr spannend ist das Feld um die unterschiedliche Auslegung des Koran – den man ja nicht wegschmeißen oder verbrennen darf. Doch was macht Bibliothek dann mit der salafistisch geprägten Ausgabe im Geschenkekorb? In der Stadtbibliothek entzündete sich zuletzt eine Diskussion über Herrn Akif Pirinci, da seine letzten Bücher zwar zu Beginn von der Wochenzeitung „Die Zeit“ oder der politischen Monatszeitschrift „Cicero“ als Satire gekennzeichnet wurden – bis Herr Pirinci bei den Pegidademonstrationen seine Satiren zum Besten gab. Doch bei diesem Ort waren sie keine Satiren mehr. Andere große Bibliotheken haben Herrn Pirinci aus dem Bestand gelöscht, inclusive seiner Felidae Katzenkrimis. Wir halten die gekauften Bücher aus – wenn sich niemand dafür interessiert werden sie von allein irgendwann aus dem Bestand wandern.  In Zeiten des sich steigernden Populismus sind die Bibliotheken stärker denn je gefragt, ob sie sich eines Inhaltes annehmen wollen oder nicht. Viele Bibliotheken abonnieren die Spiegel Bestsellerliste und stellen alles was kommt in den Bestand. Ich sage somit das nächste Problem voraus. Udo Ulfkottes Buch „Volkspädagogen“ über die Lügenpresse aus dem Kopp Verlag wird sicher ein Bestseller. Die Stadtbibliothek Salzgitter entscheidet weiter unabhängig und ohne Vorauswahl, was in unseren Bestand kommt.
  2. Erst gestern Abend war in den Nachrichten zu hören, das der erstarkende Populismus eine Ursache hat: Angst! Angst zu verlieren! Angst abgehängt zu werden. Diese Angst ist laut dieser wissenschaftlichen Untersuchung durch die Stiftung Bertelsmann bei den ärmeren und bildungsschwachen Personenkreisen stärker ausgeprägt. Die öffentlichen Bibliotheken in Deutschland sind vor gut 100 – 120 Jahren entstanden aus dem Gedanken der Volksbildungsbewegung. Eine bürgerlich-liberale Gesellschaft hat auf Vereinsbasis viele heutig kommunalen Bibliotheken entstehen lassen. Die Stadtbibliothek Bielefeld z.B. feiert heute ihren 111. Geburtstag. Die Volksbibliotheken, wovon nur noch die in Fürth diesen Namen trägt, waren die Antwort auf die Arbeiterbibliotheken und vor allem die konfessionellen Bibliotheken des katholischen Borromäusvereins. Die Volksbibliotheken waren eine Säule der Volksbildungsbewegung. Die zweite Säule hat ihren Namen bis heute nicht verändert: die Volkshochschule – die VHS. Gegen Angst hilft nur Bildung. Dieser hundert Jahre alte Ansatz ist heute aktueller denn je. Leider steht die Volksbildung gesetzlich auf eher tönernden Füßen – zumeist als freiwillige Einrichtung. Wenn es ein Landesgesetz zur Regelung des Bibliothekswesens gibt, dann ohne finanzielle Auswirkungen. In Niedersachsen tut sich zurzeit noch weniger. Dass Bibliotheken auch einen kulturellen Bildungsauftrag haben sieht man mit dieser Ausstellung. Das war der zweite Grund weswegen ich „Hier“ geschrien habe.
  3. Der Medienwandel erfasst die Gesellschaft auf voller Breite. Nachrichten-ströme wandern über das Smartphone, die Zeitung auf Papier wird von jungen Menschen kaum noch wahrgenommen. Nachhaltig beeindruckt hat mich das Buch„Redaktionsschluß“ von Stefan Schulz, der auch zur Satire eine Aussage macht. Dieses Buch habe ich kürzlich vorgestellt und eine entsprechende Passage will ich daraus zitieren.

„26,7 Millionen Zuschauer hatten die Abendnachrichten beim Anschlag auf „Charlie Hebdo“ bei ZDF und RTL gesehen. Doch die Mehrheit der Zuschauer war über 65 Jahre. Nicht einmal 2 Millionen Zuschauer waren unter 40. Die Relevanz verlieren also nicht nur die Zeitschriften, sondern alle bisherigen Massenmedien. Und so greifen die ÖR zum einzigen Instrument um im Segment der jungen Zuschauer Marktanteile zu erreichen – sie kaufen Rechte für Fußball.“

Schulz geht auch mit der Presse an sich hart ins Gericht. Doch sicher anders als der eben erwähnte Ulfkotte:

„ZDF Moderator Thomas Walde kann minutenlang reden, ohne danach inhaltlich zitierfähig zu sein. Der ARD-Chefredakteur Rainald Becker bejubelt das regierungshandeln regelmäßig auf eine Weise, die sogar Regierungssprecher Steffen Seibert peinlich wäre. Der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, Sigmund Gottlieb, kann überhaupt nur als Lautsprecher der CSU sinnvoll charakterisiert werden. „Brand Eins“ Redakteur Wolf Lotter fasst das Dilemma in einen Tweet: „Viele Journalisten sind zuverlässigere Staatsverteidiger als die Spitzenbeamten, die ich kenne. Letztere wissen ja auch Bescheid.“

Nun möchten sie sicher wissen, wie ich von hier wieder auf diese Ausstellung komme. Es ist die Satire, denn sie ist heute ein wichtiger Informationsfaktor für die Jüngeren. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA:

„Die „Heute-Show“ bringt Details, die in keiner Zeitung mehr stehen; z.B. zur Armenien-Resolution. Und diese Spaßmacher beschäftigen sich mit Personen, nicht mit Programmen. Wahlprogramme oder Wahl-O-Maten sind zwar Kriterien, jedoch nicht an der Wahlurne, weil wir etwas fühlen. Wir fürchten und hoffen. Und am meisten ignorieren wir. Wir vertrauen.“

Und deswegen ist Angst ein gefährlicher Faktor für die demokratische Gesellschaft. Satire klärt auf. Einfach. Auf den Punkt. Und ohne mahnenden Zeigefinger. Dafür mit Raum für eigene Gedanken. Satire hat für einen Teil der Bevölkerung einen Bildungsauftrag. Bibliotheken haben diesen auch. Niedrigschwellig. Schnell verständlich. Und deswegen steht diese Ausstellung heute hier.

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Erst einmal, ich wusste nicht, das es in Deutschland noch eine öffentliche Bibliothek gibt, die den ursprünglichen Namensgedanken „Volksbücherei“ noch trägt. In Fürth ist das noch der Fall und es ist darüber eine kurze Debatte entbrannt.

Die neue Leiterin Christina Röschlein ist 2011 mit einem Kölner B.A. des Bibliothekswesen ausgestattet worden. Dazu erst einmal Glückwunsch. In so jungen Jahren eine Bibliothek mit diesen Zahlen zu leiten ist keine ganz einfache Aufgabe. Nach knapp einem Jahr gab es auch einen ersten öffentlichen Veränderungsvorstoß von ihr, denn der Name „Volksbücherei Fürth“ erscheint auf den ersten Blick in der Tat antiquiert.

Doch offizielle Begründung für den Namenswechsel, „der Begriff „Volk“ im Nationalsozialismus rassistisch belastet worden ist“, wie hier berichtet ist in der Tat als Begründung humbug. Spannenderweise gab es in Fürth auch noch eine zum Stadtarchiv gehörende Stadtbibliothek, die sich nun in „Wissenschaftliche Bibliothek“ umbenannt hat. Damit gab es bis vor kurzem in Fürth die interessante Konstellation, dass Begrifflichkeiten von 1910 noch im Jahre 2010 ihre Gültigkeit hatten.

Im Rahmen meiner Recherchen bin ich auf viele Stadtbibliotheken um 1900 gestoßen, die jedoch wissenschaftliche Bibliotheken mit allgemeinen Zugang waren und mit der heutigen Bgrifflichkeit „Stadtbibliothek“ nichts mehr gemein haben. In Köln und Mainz gibt es diese Namensrelikte noch heute, die Universitäts- und Stadtbibliothek Köln zum Beispiel ist nicht mit der Stadtbibliothek Köln zu vergleichen.

Die Volksbildungsbewegung ließ ab etwa 1895 bis in die 1930er Jahre überall in Deutschland „Volksbüchereien“ entstehen – oft als Pendant zur privatwirtschaftlichen Leihbibliothek, die in den Augen der Volksbildungsbildungsakteure nur niedere Literatur anboten. Die Leihbibliotheken verschwanden spätestens um 1960, seitdem haben die kommunalen öffentlichen Bibliotheken quasi ein Buchleihmonopol. Interessant ist, das dieses Monopol gerade durch die E-Books jetzt wieder aufbricht. Sind die Stadtbibliotheken der Kommunen denn wirklich noch Einrichtungen im Sinne der Volksbildungsbewegung? Ist die Volksbildungsbewegung wirklich ein Relikt der Vergangenheit? Seit dem PISA-Schock erinnert man sich doch ganz gerne wieder an seine Wurzeln.

In Fürth klang diese Problematik mit Verweis auf das obigen Zitat nur vereinzelt in den Leserbriefen an. So meint D-Bloxx am 05.04.2014: „Ja klar, und die Volkshochschule heißt künftig Stadthochschule,“ und liegt damit im Kern eines Problems. Nach dem zweiten Weltkrieg haben die Besatzer, vor allem die Amerikaner, versucht das Wort Volk aus öffentlichen Einrichtungen zu streichen. Warum das gerade bei den Volkshochschulen nicht passiert ist, habe ich bisher nicht recherchiert – doch heute wuchern diese Einrichtungen genau mit dem Pfund, das überall in Deutschland die VHS als Synonym für die Erwachsenenbildung gilt. In Fürth ist das nicht passiert, obwohl man quasi als Treppenwitz der Zeitgeschichte die „Hauptstelle in den 1990er Jahren in ein ehemaliges Gebäude der US-Army an der Fronmüllerstraße ausquartiert“ hat.

Zu Beginn der Volksbildungsbewegung war die VHS das eine Standbein, das andere, für viele das Wichtigere, war die Volksbücherei!

Interessant ist aber auch jene Aussage: „Stifter der Volksbücherei war 1904 der jüdische Ehrenbürger Heinrich Berolzheimer. Die inzwischen von der Comödie Fürth als Mieter genutzte Volksbildungsstätte Berolzheimerianum hat der in Amerika erfolgreiche Bleistiftfabrikant aus Fürth nach amerikanischem Vorbild in seiner Heimatstadt etabliert.“

Zu diesem Zeitpunkt war die Public Library auch in Deutschland nicht mehr gänzlich unbekannt – die Bücherhallenbewegung war das Vorbild. Auch hier ist leider nur die HÖB (Hamburger Öffentliche Bücherhalle) übrig geblieben. Übrigens, oft zum Ärger der Bibliotheken im Hamburger Speckgürtel, selbst Kommunalpolitiker in Reinbek sprachen öfter von der Bücherhalle und meinten doch ihre Stadtbibliothek.

Zu Beginn hat der Bürgermeister die Namensumbenennung verteidigt, doch im Enddeffekt bleibt es beim Alten. Es wird also in Deutschland weiterhin eine Bücherhalle (Hamburg) und eine Volksbücherei (Fürth) geben. Beide erinnern mich damit an die Entstehung der Volksbildungsbewegung.

Natürlich hätte die junge Kollegin auch die „Stadtmediathek Fürth“ ins Leben rufen können, doch im Endeffekt wäre das nicht nur eine Frage des Konzeptes. So manches Mal ist versucht worden, wieder einen einheitlichen Namen zu finden für das was wir Stadtbibliothek, gemeindebücherei, katholische öffentliche Bibliothek oder gar Mediothek nennen. Zuletzt fand ich den Hinweis auf den 1978 entwickelten Flattermann , der noch heute beim deutschen Bibliotheksverband zum Download bereitsteht.

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Auch dieses Signet findet keine vollständige Verbreitung, manchmal sogar eine Abwandlung (Schleswig-Holstein hat ihn in den Landesfarben), doch von dem Standard der Volkshochschulen ist das weit entfernt.

 

Mein Fazit:

Die Namensumbenennung ist verständlich aber wirklich unglücklich verlaufen. Auch heute ist der Begriff „Stadtbibliothek“ nicht mit solch historischen Werten und Normen belegt, wie die „Volksbücherei“. Nun kann Fürth dafür sorgen, das die eine weithin vergessene Begrifflichkeit der deutschen Volksbildungsbewegung weiterhin existiert – und sogar ganz fortschrittlich mit neuem Leben aufgefüllt wird.

 

Hier noch einmal die Links zum Selberlesen:

21.02.2013 – http://www.fuerth.de/desktopdefault.aspx/tabid-954/1595_read-21561/

04.03.2013 – https://www.oebib.de/bibliotheken/bibl-nachrichten/article/2013/03/04/neue-leiterin-startet-durch-in-die-virtuelle-welt/

04.04.2014 – http://www.nordbayern.de/region/fuerth/further-volksbucherei-mutiert-zur-stadtbibliothek-1.3558826

08.04.2014 – http://www.nordbayern.de/region/fuerth/streit-in-furth-ist-der-name-volksbucherei-negativ-belastet-1.3565466

09.04.2014 – http://www.nordbayern.de/region/fuerth/burgermeister-braun-verteidigt-umbenennung-der-volksbucherei-1.3569161

24.04.2014 – http://www.nordbayern.de/region/fuerth/jetzt-also-doch-further-volksbucherei-bleibt-volksbucherei-1.3600324

 

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